Paul Boldt                              Abendavenue

1885 – 1921

Die Straße ist von Klängen überstrahlt,

Bewachsen von Phantasmen des Geruches,

Und Hüften in den Hülsen blauen Tuches,

Das aller Schritt zu Reiz zermalmt und mahlt.

 

Die Dirnen kommen, knarrend, Wollustfuder,

Und Bürgermädchen, die mit Reizen knausern;

Jungfräulein die, und andern, die schon mausern,

Gleitet ein Scharlachlächeln in den Puder.

 

Teufel! Wir werden wie die Pelikane

- Wenn diese Mädchen uns mit Blicken füttern,

Gierig nach den Konturen und Profilen,

 

Die alle kommen, einzeln, momentane,

Und aus den fetten Rücken, aus den Müttern,

Bisweilen leise nach uns Jungen schielen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Amor und Mars

1885 – 1921

Die Liebenden am Abend in Berlin!

Wir liebten junge Mädchen nach Gewicht!'

Elf Dutzend Pfund! Sie radebrechten: "Nicht",

Umarmten uns und stießen mit den Knien!

 

Unser Geschlecht berauscht die Jungfraun! Schrien

Nicht alle gleich? - Ach, dieser Lärmkehricht'

Deflorationen ist erinnerungschlicht

Verschollen wie Quartaneronanien. –

 

Wir mästen unser Lachen. In den Städten,

Des Todes sehr rentablen Fleischerein,

Arbeiten Dirnen, Ärzte; sie entgräten

 

Die Luesleichen für den Schlund des Grabes,

Tod, stellst du keinen Liebesdichter ein?

Wir machen Propaganda für die Tabes.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Auf der Chaiselongue

1885 – 1921

Wir haben nicht der Sonne Sympathien.

Und man verspricht sich zwecklos in Gebeten.

Die Negerin, das Pferd und den Ästheten

Frißt Erde auf. Sie können nicht entfliehn.

 

Gott ist der Freund der Bäume und der Sterne.

Im Hochgebirge wilde Tannen schreien.

Orion hängt über dem All im Freien.

Monumental. Maßlos. In tauber Ferne.

 

Im Hirn Gelächter. Ich sprach: die Freiheit!! -

Das Weib ist populär. Der Koitus.

Das wadenwarme Bett. Man friert und freit. -

 

Gefüllt mit Zähnen ist zuletzt der Kuß. -

Komm du doch, Freund, verkürze mir die Zeit,

Mein fröhlich lärmender Revolverschuß.

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Auf der Terrasse des Café Josty

1885 – 1921

Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll

Vergletschert alle hallenden Lawinen

Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,

Automobile und den Menschenmüll.

 

Die Menschen rinnen über den Asphalt,

Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.

Stirne und Hände, von Gedanken blink,

Schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.

 

Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,

Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen

Und lila Quallen liegen - bunte Öle;

 

Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen. -

Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,

Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Bevor

1885 – 1921

Wir haben unsere Anatomie

In einen Raum gestellt auf Teppichrot.

Hängende Hände. Und von Atemnot

Gedrehte Schädel fliehen sie.

 

Wir zeigen uns dem Laster. Die Hautflächen

Blutschimmernd, Helles atmend und verfeinert.

Ein Hengsterennen hundertfach verkleinert.

Die Nackenden beschäumt von Muskelbächen,

 

Daß wir aus uns ein Floß zusammenbänden,

Umarmt umarmend schwömmen auf dem Blut!

Berühre mich mit deinen Herzbluthänden!

 

Daß wir uns heilend in dem Fleische wüschen,

Kußnackt und leise lägen, ausgeruht,

Wie Mond und Wasser in den Weidenbüschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Boxmatch

1885 – 1921

Die Zeichen ihrer Wut und ihrer Rache,

Die sie im Anprall aneinander hetzt,

Vermehren sich. Sie keuchen schwer und jetzt

Berinnen sie (ein Dämchen schreit entsetzt)

 

Wie Brunnenrohre, die ein Riß verletzt,

Und trampeln bäurisch um die rote Lache,

Um nicht zu fallen, während sie sich flache,

Seltene Hiebe geben - schonend schwache.

 

Da brüllt der Pöbel, und das Zischen fegt

Sie ineinander. Hiebe klappen dumpf,

Die Arme drehn wie Flügel einer Mühle.

 

Der stemmt den nackten Schädel aus dem Rumpf,

Nach welchem jener schnappt und Schläge schlägt.

Sein Lachen blutet aus dem Sieggefühle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Das Gespenst

1885 - 1921

Wie weiß der Sommer ist! Wie Menschenlachen,

Das alle Tage in der Stadt verschwenden.

Häuserspaliere wachsen hoch zu Wänden

Und Wolkenfelsen, die mich kleiner machen.

 

In tausend Straßen liege ich begraben.

Ich folge dir stets ohne mich zu wenden.

O hielte ich dein Antlitz in den Händen,

Das meine kranken Augen vor sich haben.

 

Ich küßte es. Es küßte mich im Bette -:

- Versprich, daß du mich morgen nicht mehr kennst!

- Bist du nachts fleischern und ein Taggespenst?

 

- Du locktest es ins Netz deiner Sonette.

- Junger Polyp, dein Mund ist eine Klette.

- Er wird dich beißen, wenn du ihn so nennst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Das stumme Land

1885 – 1921

Das Land liegt zwischen Strömen an den Seen.

Im Winde fiebernd, brandig von Morästen.

Hier wächst der Wald, Es nisten in den Ästen

Die alten Vögel, Völker großer Krähn.

 

In hellem Abend wandern die Chausseen

Nach Süden aus, und andere nach Westen,

Und sehn auf erzen-hellen Wälderresten

Die Sonne rot in die Schneeberge gehn.

 

Im stummen Lande wohnt die Menschenrasse

Brutaler Leute, Jähzorn im Geblüt.

Wie Tiere lachen würden, tritt der krasse

 

Kiefer heraus, um einen Biß bemüht.

Jeder Gewöhnliche erhält die Masse.

Sie lieben Krieg, Tierfang und das Gestüt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Der Denker

1885 – 1921

Nachmittag wird, und Wetter steigen schwarz

Herauf. Des Blitzes Ferse leuchtet im

Gewölk. Auf das Gebirge beißt voll Grimm

Der Donner, und Regen speien aus dem Quarz.

 

Den Fuß den Felsgesteinen eingestemmt,

Die Augen abgewandt, als horche er,

So kommt er durch die Schründe, weglos, quer.

Zum weißen Urherrn in der Blitze Hemd.

 

Der Abgrund saugt Milliarden Zentner Himmel

In sich hinein. Der Weiße oben bleckt,

Zu dem er steigt. Durch Gletscher grün von Schimmel,

 

Des Riesen Bart, der von den Föhnen leckt.

Und schon reißt weit der Horizont entzwei, -

Blank, eben, schwangleich rauscht ins All ein Schrei.

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Der Frauentod

1885 – 1921

Der Tod umarmt mich in den warmen Frauen.

Beischlaf erregt, zersetzt die Moleküle.

Ich wandre durch Provinzen der Gefühle

Der Freude ab und komme in das Grauen.

 

Dich, Dirne, macht die Nacktheit antlitzschön.

Heiliges Fleisch steht auf den Knien im Haar.

Ich liege bei dir, lächelnd, am Altar,

Dem Tod entrückt auf deiner Brüste Höhen.

 

Aber nach Umarmungen, nach allem

Durchscheinen jedes Fleisch die hellen Knochen.

Die Muskeln schimmern am Skelett, zerfallen.

 

Ich sterbe. Niemand hat zu mir gesprochen.

Irrsinnig lasse ich mich sagen, lallen,

Und fühle dich vor Blut und Brüsten kochen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Der Schnellzug

1885 – 1921

Es sprang am Walde auf in panischem Schrecke,

Die gelben Augen in die Nacht geschlagen. -

Die Weiche lärmt vom Hammerschlag der Wagen

Voll blanken Lärms, indes sie fern schon jagen

 

Im blinden Walde, lauert an der Strecke

Die Kurve wach. Es schwanken die Verdecke.

Wie Schneesturm rennt der D-Zug durch die Ecke,

Und tänzelnd wiegen sich die schweren Wagen.

 

Der Nebel liegt, ein Lava, auf den Städten

Und färbt den Herbsttag grün. Auf weiter Reise

Wandert der Zug entlang den Kupferdrähten.

 

Der Führer fühlt den Schlag der Triebradkreise

Hinter dem Sternenkopfe des Kometen,

Der zischend hinfällt über das Geleise.

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Der Turmsteiger

1885 – 1921

Er fühlte plötzlich, daß es nach ihm griff,

- Die Erde war es und der Himmel oben,

An dem die Dohlen hingen und die Winde hoben -

Und fühlte, wie es ihn nun auch umpfiff.

 

Ihn schauderte. Er sah das Meer, er sah ein Schiff,

Das gelbe Wellen schaukelten und schoben,

Und sah die Wellen, Wellen - Wellen woben

An seinem unvollendeten Begriff.

 

Ein Wasserspeier sprang ihn an und bellte.

Er zitterte und faßte die Fiale,

Die knarrend brach; - versteinert aber schnellte

 

Ein Teufel Witze auf die Kathedrale;-

Er hörte hin - ein höllisches Finale:

Er stürzte, fiel! Sein Schrei trieb hoch und gellte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Die Dirne

1885 – 1921

Die Zähne standen unbeteiligt, kühl

Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.

Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen

Und trank es - trank - entschlossen dies Gefühl

 

In sich zu halten, denn sie ward ein wenig

Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;

Er aber spürte bloß Berührung,

Den Mund wie einen Muskel, mager, sehnig.

 

Und sollte glauben an ihr Offenbaren,

Und sah, wie sie dann dastand - spiegelnackt -

Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;

 

Und unwillig auf ihren schlechten Akt

Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,

Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Die schlafende Erna

1885 – 1921

Auf einer Ottomane aus Mohär

Liegt sie in Seidenröcken, eine Truhe

Voll Nacktheit, und ich denke voll Unruhe

An dein Geheimstes - schönes Sekretär.

 

Die Frauen tuen Wundervolles in die Seide.

Am Knie beginnt es. Ich will es auspellen,

Wenn Küsse summen nach hautsüßen Stellen

Im Bett, daß wir nicht schlafen können beide.

 

Du großes Mädchen, die noch kleinen Brüste

Schmücken dich mir. Auf den geheimen Schmuck

Hast du die linke weiße Hand gelegt;

 

Ich dachte: Soll die eine, die sie trägt -

Die schwarze Blume welken von den Druck?

Und nahm die Hand weg, die ich leise küßte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Boldt                              Die Sintflut

1885 – 1921

Die Wolken wachsen aus den Horizonten

Und trinken Himmel mit den Regenhälsen.

Die Menschen bissen auf den höchsten Felsen

In weiße Stirnen, die nicht denken konnten,

 

Daß Läuse aus dem Meer, die See, krochen.

Im Abendsturm ertranken lange Pappeln.-

Sie hörten auf der Nacht die Sterne trappeln,

Die in dem All den warmen Erdrauch rochen,

 

Dann schwamm die Sonne in dem glatten Wasser.

Das Wasser fiel. Die See faulten ab.

Die Erde trug der Meere hellen Schurz.

 

Die Sterne standen, von Begierde blasser,

Mit dünnem Atem an des Ostens Kap.

Ein Stern sprang nach der Erde, sprang zu kurz.